ME, MYSELF AND I IDENTITY IS A FAKE

von Christoph Doswald

 

 

Die Partikularisierung von Wissen, Erfahrung und Wahrnehmung ist ein aktuelles Phänomen. Selbst das eigene Ich präsentiert sich aus Psychologen-Optik als multiphrenes Wesen, als mehrschichtige Persönlichkeit, verhaftet im paradoxen Sowohl-als-auch eine Gegebenheit, welche offenkundig die Selbstreflexion fördert. Wer bin ich? Was will ich? Was ist wichtig für mich, und was nicht? Alles Fragen, denen ein genuines Bedürfnis zugrunde liegt, die Welt für sich zu ordnen, den eigenen Platz in dieser angeblich zum Dorf gewordenen irdischen Kosmos zu finden.

 

Identitätskarten sind die äusserlichen juristischen und nationalen Zeugnisse des eigenen Daseins, aber auch Ausdruck der Mobilität, der Bürokratisierung und Individualisierung der Welt. Vor dem Zeitalter der Nationalstaaten und der modernen Transportmittel waren Identitätskarten unbekannt, weil unnötig. Der Mensch lebte auf seiner Scholle, Name und Wohnort vererbte sich vom Vater auf den Sohn. Wer reiste, wurde im besten Fall mit Empfehlungsschreiben ausgestattet und hatte seine Glaub- und Kreditwürdigkeit mit Taten unter Beweis zu stellen.

 

Das alles übernimmt heute die Identitätskarte. Mit basalen Daten versehen, verhilft sie dem Träger zur legalen Existenz, zu nationaler Zugehörigkeit, macht ihn zu einer idividuellen Nummer eine Nummer eben, aber doch individuell. In manchen Fällen ermöglicht der Ausweis die Reise von einem Land ins andere. In anderen Ländern wiederum ist eine Existenz ohne Identitätskarte oder deren Aequivalent nicht denkbar. So zum Beispiel in den Vereinigten Staaten von Amerika, wo die "driving licence", ein kreditkartengrosses Plastikstück im Alltag als ultimative conditio sine qua non funktioniert. Ob auf der Bank, beim Shopping, in der Bücherausleihe oder im Umgang mit den Behörden ist einerlei erst der amerikanische Führerschein macht den Menschen zum vollwertigen Bürger.

 

York der Knöfel hat schon mit seiner Videobefragung "Thoughts" (1996) mit Nachdruck die Frage nach der menschlichen Existenz, nach dem persönlichen Ausdruck im Rahmen einer urbanisierten, mobilen, vernetzten und mediatisierten Gesellschaft gestellt. In New York produzierten sich mehr als hundert Menschen, die der Künstler im Lawinenverfahren bezeichnete, vor der Kamera und berichteten über sich selbst. Angestrebt wurde keine Befragung im eigentlichen Sinn Knöfel forderte die Teilnehmer lediglich auf, über sich zu erzählen, sondern eine visuelle und sprachliche Dokumentation des individuellen Ausdruckswillens im Sinne des amerikanischen Express-yourself-Lifestyles. In keiner anderen Gesellschaft ist die egozentrische Selbstdarstellung derart ausgeprägt wie im Land des unbeschränkten Me-myself-and-I-Kultes.

 

Im Gegensatz dazu verweigert sich die vorliegende Arbeit mit dem Titel "I.D. Identification Card" (1996/97) jeglicher expressiver Gestik, weist kaum narrativen Momente auf. Die Präsentation der Menschen, deren Fahrausweise Knöfel fotografierte, folgt auch wenn sich die Dokumente von Staat zu Staat minimal unterscheiden einer klar strukturierten Vorgabe. Die dabei applizierte Hierarchie der Informationen ist auch gestalterisch evident: der jeweilige Aussteller-Staat und dessen exekutive Repräsentanten, stehen immer an erster Stelle der Angaben. Dann folgt die jeweilige Ausweisnummer, der Name und die Adresse des Inhabers, die persönlichen Daten (Geschlecht, Haar- und Augenfarbe, Grösse und Gewicht, Geburtsdatum). Alles metrische und numerische Angaben, in nackte Zahlen gefasst. Ganz zum Schluss erhält das derart quantifizierte Individuum ein Gesicht ö mit einer normierten, frontalen Porträtfotografie, meist schlecht ausgeleuchtet und oft veraltet. Mit dem Träger oder der Trägerin des Ausweises hat die Abbildung selten viel gemein. Zwar mögen Physiognomiker aus der Abbildung ihre Schlüsse ziehen, doch im Grunde ist das Mini-Porträt nichtssagend, im Zeitalter der plastischen Chirurgie und der Haarinplantationen sowieso. Analog dazu gaukelt auch die Signatur nur eine vermeinltiche, expressive Lesbarkeit vor, ist allenfalls für Graphologen von Bedeutung. Für den Laienbetrachter funktioniert die Unterschrift hingegen als individuelles Zeichen, ähnlich den Tags der Graffiti-Sprayer, als optischer Terrorist auf einem normierten, datenverarbeitungsgerechten Medium.

 

Knöfel präsentiert die Ausweiskarten nicht in ihrer normalen Erscheinungsform. Zum einen handelt es sich bei den fotografisch reproduzierten Dokumenten im juristischen Sinn um Fälschungen. Das Kunstwerk, obwohl im Ausstellungskontext ein Original, gerät so ins quasi-kriminelle Umfeld. Zum andern unterläuft der Künstler die übliche Handhabung des Dokumentes, indem er es auf das Format hundert mal siebzig Zentimeter vergrössert und es um neunzig Grad kippt. Die Lesbarkeit der uniformen Schrift wird erschwert, die Informationen verunklärt, der Blick auf optische Irritationen und auf das Foto im Foto gelenkt. Seriell angeordnet und losgelöst vom Träger avancieren die derart transformierten Ausweispapiere endgültig zu dem, was sie im Grunde genommen sind, zu irreführenden, ja falschen Spuren der Identität.