Eröffnungsrede von Eugen Blume

 

Das Erstaunlichste an der filmischen Arbeit "Synapsen 2005" ist, dass, sie nicht von einer Frau, sondern von einem Mann stammt. Wenn es überhaupt einen weiblichen im Unterschied zum männlichen Blick auf die Welt gibt, dann vermutet der Betrachter am ehesten einen weiblichen Autor hinter dem aufwendigen Werk, das sich der Rolle der Frau in einer besonderen Weise widmet. Das Erzählen über die Befindlichkeit von Frauen ist lange Zeit Sache der Männer gewesen, bis im Zuge der allgemeinen Emanzipation Frauen aus der zweiten in die erste Reihe vordrangen und über sich selbst zu sprechen anfingen.

In Deutschland sind es vor allem die Frauen der Romantik, die sich nicht nur selbst beschrieben haben, sondern auch selbstbewusst aus dem Schatten der Männer traten oder deren eigentliche Kraft wurden. Zur Rolle der Frau in unserer gegenwärtigen modernen Industriegesellschaft sind unendliche Textkonvolute unterschiedlichster Themenstellungen entstanden. Die emanzipatorische Aufklärung der Moderne scheint alles berührt zu haben, auch die extremsten und dunkelsten Felder weiblicher Wesenheit. Dem Mann aber billigt frau seine Sicht auf das andere Geschlecht naturgemäß nur bis an die Grenzen einer von ihm nicht erfahrbaren Innerlichkeit zu. Der biologische Unterschied bedeutet auch eine andere Psyche und eine Weltsicht, die aus dem erzwungenen Anderssein als kulturelle Konvention über Jahrhunderte von den Männern konstruiert wurde. Das daraus resultierende weibliche Ressentiment dem Manne gegenüber ist das des Opfers einer falschen Sicht selbst noch im liebenden Gegenüber, der nicht wirklich in die letzten Gründe des Weiblichen vorzudringen vermag. Die Begegnung zwischen Mann und Frau pflegt im Unbewussten den ewigen Geschlechterkampf - das im Sündenfall gemeinsam und gegeneinander begangene Vergehen, sich der eigenen Sexualität bewusst zu werden, sich nicht im göttlichen Stillstand ewig zu halten, sondern sich fortzupflanzen und das Ebenbild Gottes der Vergänglichkeit preiszugeben. Jede Begegnung zwischen Mann und Frau ist fortan zwischen Eros und Thanatos, zwischen Leben und Tod angesiedelt. Im Gegenüber von Mann und Frau sieht sich die Evolution ins Gesicht. Das Zeugen-und-Gebären-Können, das Voranschreiten in der Zeit wird mit der eigenen Auslöschung bezahlt. Die Natur erwachte als Eva den Apfel der Erkenntnis nahm.

 

Sie war von Anbeginn im abendländischen Monotheismus nicht nur dem Manne zugeordnet, sondern war aus dem Mann, dem Menschen, genommen. Er war der Mensch, ehe sie, das Weib, in die Welt trat: „Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er entschlief. Und nahm seiner Ribben eine, und schloß die Stätte zu mit Fleisch. Und Gott der Herr bauete ein Weib aus der Ribbe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.

Da sprach der Mensch: Das ist doch Bein von meinen Beinen, und Fleisch von meinem Fleisch. Man wird sie Männin heißen, darum, dass sie vom Manne genommen ist.

Darum wird ein Mann seinen Vater und Mutter verlassen, und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch. Und sie waren beide nackend der Mensch und sein Weib; und schämeten sich nicht.“ (1. Mose 2, 21-25)

Der gefallene Engel, Luzifer, nähert sich in Gestalt der Schlange, „listiger, denn alle Tiere auf dem Felde“, und bringt den ewigen Unfrieden in die Schöpfung und verführte das Weib, nicht den Mann von den verbotenen Früchten zu essen, denn: „so werden eure Augen aufgethan, und werdet sein wie Gott, und wissen, was gut und böse ist.“ (1. Mose 3, 5)

Adam wird das Opfer der weiblichen Neugier. Sie ist es, die die Welt erfahren will, sie ist die Verführbare und Verführte. Er entschuldet sich vor Gott: „Das Weib, das du mir zugesellet hast, gab mir von dem Baum, und ich aß.“ (1. Mose 3, 12)

 

Jahrhunderte der Männerherrschaft haben sich darauf berufen und alle Formen der Erniedrigung ersonnen. Das Weib war fortan die Schlange selbst, nicht die Verführte, sondern die dem Manne größte Gefahr, die zu züchtigen seine legitime Aufgabe schien.

Je weiter der Mensch in der Geschichte voranschreitet, um so gewaltiger wird sein Versuch, der Schöpfung sein eigenes Werk gegenüber zu stellen. Er erfindet die Welt, er schwimmt wie die Fische und fliegt wie die Vögel, er heilt sich und macht sich krank, er baut Gärten und verwüstet die Natur. Er produziert unentwegt und kommt sich selbst nicht näher. Er verliert sich als Mann und als Frau. Er lebt seine Atavismen als sei er gerade vertrieben worden aus dem Paradies, von dem er nur noch eine ferne sentimentale Erinnerung in sich trägt. Inzwischen duldet der Mann das Weib in seinen Administrationen. Leben kann er offenbar mit ihr nicht.

Noch immer zieht er als kalter Krieger durch die Welt, als fundamentalistischer Terrorist, als jemand, der das Weibliche in sich löscht, wie die Frauen die Männer aus sich herausstellen.

 

 

Knoefel nun zeigt die Ambivalenz des Weiblichen, die Frau nicht als Objekt, nicht als reduzierte Männerphantasie, sondern als das Wesen, das über sich spricht. Nicht der männliche Blick, nicht die politisch korrekte Herablassung des Mannes „gerecht“ auf die Frauen zu sehen, ist sein Antrieb, sondern Frauen über Frauen und Männer unkommentiert zu Wort kommen zu lassen. Es handelt sich durchweg um Schauspielerinnen, die durch einen fremden Text hindurch über sich selbst und zu anderen sprechen. Der Regisseur hat ihnen überlassen, was sie seiner Kamera anvertrauen wollen. Freilich ist dieses Sich-anvertrauen bar jeder Unschuld kein Selbstzweck, der in therapeutischer Absicht verborgen bleibt, die Grenze des Intimen nicht überschreitet, sondern und das war den Eingeladenen mitgeteilt, zur Veröffentlichung bestimmt. Es ist ein öffentliches Reden, das hinter dem Spiegel der Projektion nicht das unmittelbare Gegenüber sondern ein artifizielles, sich von der sprechenden Person lösendes Ereignis ist. Auch der extreme, mitunter schockierende Vortrag über sexuelle Praktiken etwa ist ein fremd geschriebener Text, den sich die Schauspielerin für diese Session ausgewählt hat. Die Motive gerade diesen Text zu sprechen, verschwimmen in dem weiblichen, wenn auch fremden Antrieb, der zu einem solchen Text ursprünglich geführt hat. Die Frage nach der Identifizierung verwischt sich in dem Bewusstsein des Öffentlichen. Ob es ein spekulativer Akt ist, diesen Text aus Eitelkeit oder als psychische Selbstanzeige zu sprechen, bleibt dahin gestellt. Die Sprecherin wird in der künstlerischen Installation aus dieser biografischen Entscheidung entlassen, sie spricht allgemein als Frau. Sie spricht über etwas, was frau geschehen ist und was frau dabei empfindet. Sie stört in die Empfindungen der Betrachter hinein, sie verstört andere, die auf sich kommen und nicht auf die Sprechende in ihrer Subjektivität. Die muß sie nur dort aushalten, wo sie als solche bekannt ist, unter Freunden und auch hier ist sie die Schauspielerin, die nicht über das eigene Erleben spricht. Die sprechenden Frauen, in nebeneinander, und übereinander gelegten Stimmen, sind das Dominierende dieser Arbeit. Sie konfrontieren unmittelbar mit einem Textfächer über das weibliche Empfinden und weibliche Sein in dieser Welt. Knoefel hat diesem hochkulturellen Spektakel, das sich in den literarischen Texten auf die Bühne stellt, den banalen Alltag einkomponiert. Dem Sprechen über das Ficken oder die Rose wird das Braten eines Eis oder das Waschen unter der Dusche und das Gehen im Wald simultan eingebaut. Der Mensch hat als Frau und Mann ein banales Leben, dem er flieht und nicht fliehen kann. Den hehren Texten der Literatur, gesprochen von schönen Frauen, den harmonischen Tanzbewegungen junger Frauen, der Hoffnung auf Liebe und ein erfülltes Leben stellt Knoefel Szenen aus dem Alltag hinzu, nicht entgegen. Die Büglerinnen etwa, die in täglich trainierten Handgriffen formvollendet ihre Arbeit tun, die als stupide gesehen werden kann und die doch auch ein Glück ist, werden nicht desavouiert, sondern als die andere und doch eine Seite der Frau gezeigt. Knoefel gelingt es, die Frau nicht sozial zu hierarchisieren, nicht Gruppen und Grade des Elends und der Schönheit zu zeichnen, sondern eine weite Sicht auf Frausein in dieser Gesellschaft. Es ist kein voyeuristisches Theater über Frauen, keine Suche nach extremen und schockierenden Elementen. Die Mehrfachprojektion lässt es zu, dass alles gleichzeitig zu sehen ist. Ein Spiel, dem auszusetzen vor allem die Bereitschaft verlangt, sich einzusehen und einzuhören und sich selbst zu finden.